20.12.2016

„Es gibt gute Chancen, die Selbstheilungskräfte zu stärken“

Professor Dr. Volker Diehl

Professor Dr. Volker Diehl

Interview mit Professor Dr. Volker Diehl, Berlin

Durch eine psychoonkologische Betreuung lässt sich die „Selbstwirksamkeitserwartung“ stärken. Das kann den Heilungsprozess bei Tumorpatienten unterstützen. Was dies konkret bedeutet, erläutert Professor Dr. Volker Diehl aus Berlin in einem Interview. Professor Diehl war viele Jahre lang Direktor der Klinik I für Innere Medizin an der Universitätsklinik Köln.

Herr Professor Diehl, was ist unter der „Selbstwirksamkeitserwartung“ zu verstehen?

Mit dem Begriff der Selbstwirksamkeitserwartung, der von dem Krebsmediziner Professor Dr. Gert Nagel in Zürich geprägt wurde, wird die Einstellung eines Menschen bezeichnet, aufgrund eigener Kompetenzen Handlungen erfolgreich ausführen zu können. Patienten mit guter Selbstwirksamkeitserwartung fühlen sich kritischen Herausforderungen des Schicksals nicht hilflos ausgeliefert, sondern mobilisieren ihre Ressourcen, um mit ihrer Motivation und ihrer Lebenseinstellung dem Schicksalsschlag positiv zu begegnen. Sie gewinnen so an Kraft, sich der Krankheit entgegenzustellen. 

Welche Auswirkungen hat das bei einer Tumorerkrankung?

Bei Tumorpatienten geht es in erster Linie um den Heilungsprozess, der gefördert werden soll. Dabei spielen auch die Selbstheilungskräfte eine wichtige Rolle. Gute Chancen, diese zu stärken, haben Menschen mit einer positiven Selbstwirksamkeitserwartung. 

Wie lässt sich diese stärken?

Zur Stärkung der Selbstwirksamkeitserwartung kann zum Beispiel eine adäquate psychoonkologische Begleitung der Patienten beitragen. Hilfreich sind außerdem komplementäre oder integrative Behandlungsmaßnahmen. Hierzu gehört beispielsweise die Kunsttherapie, über die die Patienten sich oft erstmals in ihrer Emotionalität ausdrücken können, aber auch die Bewegungstherapie und die Musiktherapie und insbesondere das Singen im Chor, das viele Betroffene als sehr befreiend erleben.   

Inwiefern können so die Heilungschancen verbessert werden?

Menschen, die an Krebs erkranken, haben praktisch zwei Ärzte, mit denen sie kommunizieren müssen. Sie haben zum einen den äußeren Arzt, der sie medizinisch behandelt. Sie haben zugleich einen inneren Arzt, der ebenfalls Einfluss auf die Genesung nimmt. Wenn beide Ärzte gut miteinander kommunizieren, werden die Selbstheilungskräfte gestärkt und die Heilungschancen verbessert. 

Was können die Patienten selbst tun, um eine solche Wahrnehmung zu schulen?

Krebspatienten sollten konkret hinterfragen, wie sie der Erkrankung begegnen und sie müssen sich unbedingt ihrer eigenen Kräfte und Ressourcen bewusst werden. Die Patienten müssen zudem verstehen, dass die Diagnose Krebs heutzutage keineswegs mit einem Todesurteil gleichzusetzen ist. Immerhin können rund 90 Prozent der Patienten mit einem Hodgkin-Lymphom und bis zu 80 Prozent der Kinder mit einer Leukämie geheilt werden. Auch bei anderen Tumorarten sind die Heilungschancen inzwischen gut, wenn der Tumor frühzeitig erkannt wird. Ist eine Heilung nicht möglich, so können doch viele Patienten mit dem Krebs wie mit einer chronischen Erkrankung bei guter Lebensqualität langfristig weiterleben. In beiden Fällen ist es wichtig, dass die Patienten ihre inneren Kräfte erkennen, spüren und im Kampf gegen die Erkrankung mobilisieren. Vielen Patienten gelingt es dann, die Erkrankung durchaus positiv zu sehen, weil sie ihre Stärken erkennen und weil sie die Prioritäten in ihrem Leben neu formulieren können. Auf diesem Weg können Psychoonkologen, Musik-, Kunst- und Bewegungstherapeuten sowie Seelsorger und Sozialarbeiter den betroffenen Patienten enorm helfen. Man ist daher als Tumorpatient gut beraten, solche Unterstützungsangebote wahrzunehmen oder regelrecht in seinem regionalen Umfeld zu suchen.          

Herr Professor Diehl, haben Sie herzlichen Dank für das Interview.
Der Beitrag basiert auf einem Interview mit Professor Diehl, das für den Verein LebensWert e.V. in Köln geführt wurde und an dieser Stelle in etwas abgewandelter Form wiedergegeben wird. Professor Diehl hat den Verein LebensWert 1997 am Klinikum der Universität Köln als Initiative zur Unterstützung krebskranker Menschen gegründet.